ABO - ARCHIVALIA BALTICA ONLINE 3. Ausgabe (August 2022)
Die deutschbaltische Schriftstellerin Annelen von Mickwitz wurde 1922 in Reval (Tallinn) geboren und ist 1982 in Böblingen gestorben. Ihr Nachlaß ist in zwei Teilen überliefert: der eine in der DSHI, der Dokumentesammlung des Herder-Instituts in Marburg, der andere im CSA, dem Carl-Schirren-Archiv im Brömsehaus in Lüneburg.
Ihr literarisches Talent hatte sich schon vor der Umsiedlung der Familie nach Bromberg (Bydgoszcz) im Okt. 1939 erwiesen, wenn auch ihre überlieferten Werke aus diesen frühen Jahren naturgemäß klein an Zahl sind. Im Lüneburger Nachlassteil findet sich ein Konvolut mit "Fünf Gedichten der Kinder- und Jugendzeit" (CSA 100 Mickwitz, A., 6), die besondere Bedeutung für diese frühe Schaffensperiode beanspruchen dürfen.
“Das missglückte Gedicht“ aus „Fünf Gedichte der Kinder- und Jugendzeit“ von Annelen von Mickwitz (undatiert)
Was soll ich nun eigentlich dichten?
Die Frage bedrückt mich sehr
Und dies und das wird zu nichten
Als ob es nen Strohhalm wert wär.
Die kleine Habse träumet
Auf dem Sofa still vor sich hin.
Das Mieku vor Ärger bald schäumet
Denn nichts kommt ihm in den Sinn.
Die Mietzekatze mit froher Miene
Weilt wohl in der Nachbarschaft?
Doch an der Schreibmaschine
Tippt Molle mit aller Kraft.
"Wie gut hat es doch das Molle!"
Der Bleistift rollt hin und her.
Das klingt wie die Wä[s]cherolle [?]
Und Mieku rollt mehr und mehr.
Die besten Reime gingen verloren.
Denn Mitten im Dichten es erklang: ["]So schöne lange Tekkuohren!"
Und der beste Vers mir wieder entsprang.
Und's hat nicht mal geholfen der heilige Gral.
Ist das nicht zum Haare raufen.
Zum Donnerwetter nocheinmal,
Ich lasse die Verse laufen.
[Es folgen ihr Monogramm "AM" und kleine, mit Bleistift gezeichnete "laufende" Verse.]
Gestaltung und inhaltliche Fragestellungen
Nach ihrer damaligen Gewohnheit gestaltete Annelen von Mickwitz kolorierte Zeichnungen (hier in Form von Blumengirlanden) um ihre Texte herum, wofür das vorliegende Werk ein besonders hübscher Beleg ist.
Vielen Dingen ist in anderem Zusammenhang nachzugehen: Da sind einmal die Namen bzw. Begriffe Habse, Mieku, Molle und Tekkuohren zu deuten. Da ist andererseits zu fragen, was das junge dichterische Talent veranlasst haben könnte, von einem "missglückten" Gedicht zu sprechen. War es Bescheidenheit? War es Selbstironie? Außerdem könnte man der Frage nachgehen, ob dieses Gedicht vielleicht im Zusammenhang mit einem Hinweis steht, der vermuten läßt, dass Annelen von Mickwitz zwei Monate vor der Umsiedlung noch an einem Literaturwettbewerb der Deutschen Kulturselbstverwaltung in Estland teilgenommen hat.
Dorothee M. Goeze
Literaturhinweis:
Carola L. Gottzmann u. Petra Hörner: Lexikon der deutschsprachigen Literatur des Baltikums und St. Petersburgs. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. 2. Bd., Berlin u. New York 2007, S. 917-920.